Cover
Titel
Backpack Ambassadors. How Youth Travel Integrated Europe


Autor(en)
Jobs, Richard Ivan
Erschienen
Anzahl Seiten
360 S.
Preis
$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christine Krüger, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen

Sowohl der Geschichte der Jugend als auch der Geschichte des Tourismus ist in der Zeitgeschichtsforschung bereits einige Aufmerksamkeit zuteil geworden. Mit Richard Ivan Jobs‘ Monographie liegt nun eine erste europäisch-transnationale Synthese vor. Um diese Zusammenschau zu realisieren, hat der Autor an die 40 Archive in acht Ländern besucht und einen breiten Fundus an offiziellen Dokumenten, Selbstzeugnissen sowie literarischen Werken in Augenschein genommen. Ziel der Studie ist es, mit dem Blick auf reisende Jugendliche eine kultur- und erfahrungsgeschichtliche Perspektive auf die europäische Einigung zu gewinnen und damit die bisherige Historiographie zu diesem Thema, die sich vielfach auf Politik und Diplomatie konzentriert, zu ergänzen. Die Leitthese ist, dass die lebhafte grenzüberschreitende Reisetätigkeit der europäischen (und nordamerikanischen) Jugend einen wesentlichen Beitrag zur europäischen Integration geleistet habe.

In den ersten beiden Kapiteln schildert Jobs die Bemühungen um internationale Jugendbegegnungen, die in 1950er- und 1960er-Jahren von vielen Zeitgenossen als Mittel zur Befriedung Europas angesehen wurden. Der Gedanke, dass durch den Jugendaustausch nationale Animositäten überwunden werden könnten, erlebte erst nach 1945 seine Blütezeit, wie der Autor mit einer zeitlichen Rückblende auf die Anfänge des Jugendherbergswesens im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zeigt. Die ersten Jugendherbergen wurden eingerichtet, um der jugendlichen Wanderbewegung günstige und sichere Unterkünfte zu bieten. Zugrunde lag dabei eine nationale Gesinnung, denn durch das Wandern sollten die Jugendlichen ihr eigenes Land kennenlernen. Erst nach 1945 wandelte sich das Selbstverständnis der Jugendherbergsbewegung, die sich nun der internationalen Verständigung verschrieb.

Im zweiten Kapitel arbeitet Jobs heraus, dass die Förderung internationaler Jugendbegegnungen in der ersten Nachkriegszeit noch kein Anliegen der Europäischen Gemeinschaft war, sondern zunächst auf nationaler und insbesondere bilateraler Ebene vorangetrieben wurde. Vor allem aus der deutsch-französischen Partnerschaft heraus erwuchsen zahlreiche Initiativen. Motiviert wurden die westeuropäischen und nordamerikanischen Bemühungen um den Jugendaustausch nicht zuletzt auch durch den Ost-West-Konflikt: Westliche Politiker gingen vielfach davon aus, dass der Jugendaustausch ein westeuropäisches Zusammengehörigkeitsgefühl erwecken könne und auf diese Weise auch kommunistische Neigungen unter der Jugend schwächen werde. Aus diesem Grund unterstützte beispielsweise die CIA die Europäische Jugendkampagne.

Wenngleich Jobs immer wieder auch Selbstzeugnisse zitiert, weist er in den ersten Kapiteln doch auch offiziellen Verlautbarungen und Einschätzungen zum Jugendaustausch einen prominenten Platz zu. Teilweise wäre es hier angebracht gewesen, klarer herauszuarbeiten, dass die Absichtserklärungen nicht immer auch das erwünschte Resultat nach sich gezogen haben. Hürden wie Sprachprobleme oder fortbestehende oder gar vertiefte nationale Vorurteile und Ressentiments, die die Verständigung bei den internationalen Begegnungen oftmals behinderten und in den 1950er-Jahren bei vielen jugendlichen Reisenden das Gefühl der Ernüchterung hinterließen, nimmt der Autor nicht eingehender in den Blick.1

Das dritte Kapitel widmet sich den Jugendprotesten um 1968. Jobs argumentiert, dass das grenzüberschreitende jugendliche Aufbegehren dieser Jahre den europäischen Integrationsprozess in starkem Maße vorangetrieben habe. Denn zum einen gaben Demonstrationen und Protestaktionen zahlreichen Jugendlichen Anlass, zu den jeweiligen Schauplätzen des Protests zu reisen – insbesondere nach Paris und Prag –, zum anderen verurteilte die Studentenbewegung den Nationalismus und erhob internationale Solidarität explizit zum Programm. Viele Zeitgenossen empfanden die Transnationalität der Bewegung als deren essentielles und historisch neuartiges Kennzeichen. Die britische Times etwa urteilte im Mai 1968: „National frontiers mean less than generational frontiers nowadays“ (zitiert auf S. 101).

Jobs erklärt es als eine Folge der Jugendproteste, dass nun auch von Seiten der Europäischen Gemeinschaft Anstrengungen einsetzten, für die europäische Einigung nicht nur auf politischer und ökonomischer Ebene, sondern auch im kulturellen Bereich aktiv zu werden. Allerdings war dieser Vorstoß nicht die einzige Reaktion auf die Studentenbewegung. Denn viele Zeitgenossen – und nicht zuletzt auch die Regierenden – standen der Transnationalität der Protestwelle beunruhigt gegenüber. Am Beispiel der Bemühungen der französischen Behörden, dem deutschen Staatsbürger Daniel Cohn Bendit nach einer Auslandsreise die Rückreise nach Frankreich zu verweigern, zeigt Jobs, dass die Europäisierung hier im dialektischen Prozess verlief. Auf die Versuche, die Mobilität der Jugendlichen einzuschränken, reagierten die französischen Studenten mit dem Bekenntnis: „Nous sommes tous des Juifs et des Allemands” (zitiert auf S. 117).

Im vierten Kapitel konzentriert sich der Autor auf die Hippie-Bewegung. In diesem Rahmen diskutiert er unter anderem die Bedeutung des Reisens per Autostopp, das ebenso wie auch die Einführung des Eu- bzw. Interrail-Passes Jugendlichen Individualreisen eröffnete, die nun die in der frühen Nachkriegszeit üblicheren Gruppenreisen mehr und mehr ablösten. Letzteren schenkt Jobs für die Zeit nach 1968 so gut wie keine Beachtung mehr, obwohl es sicherlich sinnvoll gewesen wäre, die betrachteten Reisen quantitativ wie qualitativ mit anderen Formen von Jugendreisen – beispielswiese Schüleraustauschen oder Studiosus-Fahrten – in Beziehung zu setzen. Und noch aus einem anderen Grund fällt es bei der Lektüre schwer, die Bedeutung des Hippie-Tourismus zu ermessen: Der Autor verschweigt zwar nicht, dass der alternative Lebensstil – insbesondere die sexuelle Freizügigkeit und der Drogenkonsum – vielerorts Ängste und Abwehrreaktionen hervorrief. Er widmet sich aber angesichts dieser durchaus nicht immer positiven Außenwahrnehmung nicht eingehender der Frage, inwiefern die Hippies tatsächlich als „Backpack Ambassadors“ gelten können. Hier wäre eine stärker abwägende Diskussion angebracht gewesen.

Eine zentrale Rolle schreibt Jobs im fünften Kapitel der Rock- und Popmusik zu, die, wie er schreibt, in den 1990er-Jahren in Form von Konzertbesuchen auch für ihn selbst als jugendlicher Backpacker wichtige Reiseerfahrungen geboten hat. Sie sei integraler Bestandteil der Jugendreisen gewesen, habe die Reiselust stimuliert und – da dies auch für die Länder des Ostblocks galt – letztlich sogar zur Öffnung des Eisernen Vorhangs beigetragen.

Allgemein betont der Autor vor allem transnationale Gemeinsamkeiten der Reisenden und zollt nationalen Unterschieden nur wenig Aufmerksamkeit. Seiner These kommt dies sicherlich zugute, doch ganz unproblematisch ist es nicht. Denn damit beschreibt er nicht nur, wie Jugendliche Europa konstruierten, sondern trägt selbst zur Konstruktion Europas bei. Auch in anderer Hinsicht hätte eine intensivere Reflexion über den Konstruktionscharakter von Europavorstellungen – und hier nicht zuletzt auch der eigenen Europavorstellungen – dem Buch gutgetan. Dies gilt zum Beispiel für die Frage, wie sich der Untersuchungsgegenstand europäischer Jugendreisen abstecken lässt. Denn es reisten nicht nur europäische Jugendliche, ebenso wenig lagen die Reiseziele allein in Europa: Mit steigendem Wohlstand und verbesserter Infrastruktur für den Tourismus wuchsen die zurückgelegten Distanzen. Der Autor deutet die Fernreisen europäischer Jugendlicher als Bestätigung seiner These, dass die jugendliche Reiselust den Europagedanken gestärkt habe, indem er hier nun vor allem die Unterschiede betont: So habe zum Beispiel bei den in den 1970er-Jahren beliebten Asienreisen die Fremdheitserfahrung den Jugendlichen ihre europäische Identität bewusst gemacht. Aber lässt es sich wirklich rechtfertigen, im Falle der innereuropäischen Reisen nur die Integrationstendenzen zu betonen, im Falle der Fernreisen allein die Abgrenzungstendenzen?

Dass die Monographie Fragen offen lässt und mit einigen Ergebnissen zur Diskussion einlädt, schmälert ihre Verdienste nicht: Jobs ist es gelungen, einen wertvollen und gut lesbaren Beitrag zur europäischen Zeitgeschichte zu liefern, der zweifellos die bestehende Historiographie zur Geschichte der Jugend, des Tourismus und des Europagedankens bereichert.

Anmerkung:
1 Vgl. Sonja Levsen, Kontrollierte Grenzüberschreitungen. Jugendreisen als Friedenserziehung nach 1945. Konzepte und Ambivalenzen in deutsch-französischer Perspektive, in: Till Kössler / Alexander J. Schwitanski (Hrsg.), Frieden lernen. Friedenspädagogik und Erziehung im 20. Jahrhundert, Essen 2014, S. 281–298; Christine G. Krüger, Dienstethos, Abenteuerlust, Bürgerpflicht. Jugendfreiwilligendienste in Deutschland und Großbritannien im 20. Jahrhundert, Göttingen 2016.